Dunkle Nacht
"Käsekuchen", flüsterte Kate im
Halbdunkel der von der Zeltdecke baumelnden Taschenlampe.
"Was?"
"Jetzt hab‘ ich Lust auf
Käsekuchen. Mit Rosinen."
"Wo soll ich denn um diese Zeit
Käsekuchen herbekommen." Lars liebkoste zärtlich ihren Körper, er hätte alles
für sie getan, aber um halb zehn abends Kuchen zu besorgen gehörte nicht
unbedingt dazu.
"Unten an der Straße war ein
Kaffee."
Lars räkelte sich ungemütlich und
befreite sich aus dem Daunenschlafsack, in dem sich die beiden zusammengekuschelt hatten. Es war schon
recht kühl geworden, aber Lars wusste, dass er gegen Kates bitten nicht
bestehen konnte. Zitternd streifte er die Jeans über, schlüpfte in die Stiefel
und warf ein Hemd über die Schultern.
"Diese Hörigkeit is‘ ne üble
Sache", murmelte er in einem Tonfall zwischen Scherz und Verzweiflung, als er
mit der zweiten Taschenlampe in der Hand das Zelt verließ. Kate lächelte ihm
nach. Ein Stück Kuchen war jetzt genau das Richtige, bevor sie nochmal mit Lars
schlafen wollte. Sie hoffte nur, nicht schwanger zu sein, das käme im Moment
nicht gerade gelegen. Auf der anderen Seite bekam man aber nicht sofort Hunger,
wenn man gerade mit einem Mann geschlafen hatte.
Durch die Zeltwand konnte sie das
Wippen der Taschenlampe noch eine Weile verfolgen, während Lars den Hang
hinabstieg zur Straße. Es war ruhig im Wald, so ruhig, wie ein Wald in der
Nacht eben wird. Grillen zirpten, Vögel zwitscherten hin und wieder und wenn
Kate ganz ruhig war, konnte sie hin und wieder das Rascheln eines Tieres in den
trockenen Blättern hören. Es war eine dunkel Nacht der Himmel war bezogen und
hin und wieder lösten sich einige Regentropfen aus den Wolken. Sie hoffte, dass
ihr Wochenende im Wald nicht verregnen würde.
Plötzlich wurde das Licht der
Taschenlampe schwächer.
"Mist!" Flüsterte Kate, ohne sich
selbst bewusst zu sein, warum sie ihre Stimme dämpfte. Sie nestelte den Knoten
auf und nahm die Taschenlampe, schütteln half auch nicht weiter. Irgendwo im
Zelt mussten noch Ersatzbatterien liegen, wenn Sie sie nur finden konnte, bevor
die Funzel gänzlich versagte. Aber das Licht würde zusehends schwächer. Als die
Lampe verloschen war, tastete Kate noch einige Minuten erfolglos im Dunklen
herum, aber die Batterien konnte sie nicht finden.
"Wir hätten Kerzen mitnehmen sollen."
Klagte sie leise und starrte in die Dunkelheit aber ohne einen einzigen Stern
am Himmel herrschte hier draußen eine Dunkelheit, die man in keiner Stadt mehr
erlebte. Es machte gar keinen unterschied, ob Kate die Augen offen oder
geschlossen hatte, es war einfach nur Schwarz um sie herum.
In ihrer Blindheit erschienen die
Geräusche vor dem Zelt noch ein wenig lauter, ein Stückchen näher und auch
etwas bedrohlicher. Kate kroch tiefer in den warmen Schlafsack in dem Lars
Anwesenheit, wie ein warmer Schatten, noch zu spüren war.
Vor dem Zelt war ein leises
Rascheln zu hören. War Lars schon wieder zurück, sie musste das Zeitgefühl
verloren haben, vielleicht hatte sie auch kurz geschlafen. Aber seine
Taschenlampe war nicht zu sehen. Kate war sich im ersten Augenblick nicht
sicher, ob sie die Augen offen oder geschlossen hatte aber sie waren geöffnet,
und auf den Punkt gerichtet, wo sie den Zelteingang vermutete.
Die Stimme schien direkt neben
ihr zu stehen, aber sie konnte den genauen Ort des dumpfen rauen Tons nicht
identifizieren. Ihre Nackenhaare richteten sich auf. Dann war wieder alles
still. Kate glaubte schon, dass sie sich das nur eingebildet hatte. Ein Effekt
der Dunkelheit, die ihren anderen Sinnen Höchstleistungen abverlangte. Sie
hoffte nur, dass Lars bald wieder auftauchen würde. Es war doch etwas gruselig
allein im Wald, mitten in der Nacht. Kate konnte sich nicht erinnern im Dunkeln
jemals Angst gehabt zu haben, im Gegenteil, die Dunkelheit hatte immer etwas
Beruhigendes gehabt. Ein Schleier der Ruhe, der sich über die tobende Stadt
legte.
Als der heiße Atem ihr ins Ohr
blies, wusste Kate, dass sie sich die Stimme von eben nicht eingebildet hatte.
Geifer tropfte ihr auf die rechte Schläfe.
Plötzlich raste ihr Herz, als ob
es davonlaufen wollte, aber Kate war wie gelähmt vor Angst, wagte kaum Luft zu
holen und verkrampfte die Finger, die sich in Panik in den Boden des
Schlafsacks krallten. An Liebsten hätte sie sich den Schlafsack über den Kopf
gezogen, aber das war eine Strategie, die gegen Albträume von Kindern half.
Dieser Kerl, der sich in ihr Zelt geschlichen hatte, während sie schlief, würde
sich davon nicht beeindrucken lassen.
Der heiße Atem stieß wieder und
wieder gegen ihr zitterndes Gesicht, sie hatte die Augen fest zusammengepresst.
Sie roch den fauligen Geruch seines Atems, ein verwesender Kadaver hätte nicht
abstoßender sein können.
Das konnte unmöglich ein Mensch sein. Vielleicht war ein
wildes Tier in ihr Zelt geschlichen. Sie konnte es nicht sagen, aber sie spürte
die Nähe des Ungeheuers, das sie belauerte. Kate wusste, dass die kalten Augen
des Wesens fest auf sie gerichtet waren, auch wenn sie nichts sehen konnte. Die
Nacht war von solch vollständiger Dunkelheit, dass sich ihre Augen nicht daran
gewöhnen konnten.
Kate wagte keine Bewegung. Sie
war sich sicher, dass es sie zerfleischen würde, wenn Sie auch nur die leiseste
Bewegung machte. Flach atmend harrte sie aus, in der Gewissheit, dass ihr
rasendes Herz sie verraten würde. Wieder tropfte der Geifer in ihr Gesicht, es
musste fast über ihr stehen, angezogen von der Hitze, die ihr Körper
ausstrahlte.
Etwas Schweres stemmte sich auf
ihre Brust und nahm ihr mit Gewalt den Atem. Kate war der Panik nahe, wenn sie
jetzt einatmete, musste die Kreatur sich ihrer Nähe bewusst werden. Sie hielt
den Atem an, bis sie glaubte, das Bewusstsein zu verlieren, als sich das
Gewicht sich von ihrer Brust auf den Bauch verlagerte. Sie spürte, wie sich
eine scharfe Kralle durch das Futter des Schlafsacks bohrte und in ihre
Bauchdecke schnitt.
Dann war es plötzlich wieder
verschwunden, der verfaulte Geruch hing noch einige Zeit im Zelt, aber Kate
spürte, wie die Hitze nachließ, die Angst langsam nachließ. Es dauerte Minuten,
bis sich Kate wieder einigermaßen beruhigt hatte und schließlich dachte sie,
sie hätte einen fürchterlichen Albtraum gehabt.
"Wieso ist das Licht aus?"
"Lars?"
"Hast du jemand anders erwartet?"
Kate fiel ein Stein vom Herzen,
ihre Fantasie musste ihr einen fürchterlichen Streich gespielt haben, im
Schwarzwald gab es keine wilden Tiere.
"Endlich lugte die Taschenlampe
wieder ins Zelt und blendete Kate für einen Augenblick, bevor Lars mit einem
Paket ins Zelt kletterte.
"Ich glaub‘ du hast ein
Sabberproblem." Lachte er und legte ein Handtuch über die Geiferpfütze neben
Kates Kopf, bevor er den Kuchen auswickelte.